Schwärmen – die Kunst des verdeckten Zitierens oder wie man das Meer austrinkt

Eine Buchbesprechung / Polemik / Rezension / Review von Frank Schätzings “DER SCHWARM” (2005, Kiepenheuer & Witsch, Köln) am Strand 2020 gelesen.

SPOILER ALERT: Der Text enthält Hinweise und Details aus dem Roman. Lesen Sie auf eigene Gefahr.

Schätzing wirkt am besten, wenn er elegisch wird, wenn Poesie sich bahnt, als würden Magmakissen aus dem atlantischen Rücken quellen. Heiss aber, nicht explosiv. Viel Rauch in den Schloten, exotische Lebensformen, Myriarden von Partikel im Wasser, verwirbelt in Strömungen, die die Welt bedeuten. In wenigen Stellen, in den Betrachtungen, der contemplatio, scheint Schätzing die Motivation für seinen Roman fühlen zu machen, als eine Meditation über die Rolle der Menschheit im Kosmos. Und doch wirkt das seltsam eingepflanzt und unorganisch. Er kommt gegen Schluss immer wieder auf den Kunstgriff des Tagtraums, des schweifenden Gedankens inmitten der grössten Gefahr und wildester Action. Das ist schön, aber vielleicht auch ein Symptom…

Woher kommen diese Gedankenfetzen, die an Carl Sagan erinnern, an die grossen Wissenschafts- und Naturvermittler wie David Attenbourough oder Jacques Cousteau? Sein Stil? Vielleicht. Vielleicht erschliesst sich Schätzing aber auch als Schwärmer, als einer, der von solchen Lichtgestalten angezogen wird, wider Willens, der gerne wie so einer künden würde, voll von Entdeckertum und aufrechtem Forschergeist. Als einer der Elite jener Forschergestalten (zumeist Männer) die die Grenze der Wahrnehmung in die Natur verschoben haben. Aber erzählt er damit etwa Neues – oder beschwört er alte Stimmen über dem Abgrund hervor wie einst Pythia über den Dämpfen von Delphi? Komponiert er oder moduliert er nur?

Ist das, was der Schwarm eigentlich ist, eine Ansammlung von Zitaten, ein geschickt montiertes Fantasiewesen, ein Wolpertinger von Tierpräperatoren zusammengesetzt, aus Teilen anderer, echter Tiere? Kann man Schätzing, der nun inzwischen selbst ein wenig aussieht wie Maximilian Schell – was er seinem alter-ego Charakter Sigur Johanson im Roman unterstellt – als Präperator, als Blender, aber als handwerklich guten, verstehen? Kann man ihm respektvoll nahekommen, ohne den Glanz des Versuchs zu verlieren, ihn in seine Einzelteile zu zerlegen, oder seine Anstrengung zu vermitteln, zu trüben? Welches Pheromon verabreicht er uns, um den Schwarm zu lieben?

Was am Beginn nur schluckweise verabreicht wird, kaskadiert gegen Schluss des 1000seitigen Wissenschaftsaction-Epos „Der Schwarm“ zum Versuch einer literarischen Odysee 2001, das Jahr in dem wir Kontakt aufnahmen. Er scheint Kubrik eher erlegen, im Anspruch, nicht den Blogeinträgen von Wissenschaftsjournalisten. Vielleicht sollte Hollywood ihn verklagen anstatt des Meeresbiologen Thomas Orthmann, der Schätzing vorwarf, von seinen Beiträgen auf ozeane.de abgeschrieben zu haben (die Seite ist leider zur Zeit des Aufrufs dysfunktional, es sieht so als als hätte Orthmann sein WordPress nicht gewartet). Das Gericht gab ihm am Ende nicht Recht, wohl auch da es sich nach Schätzing nur um einen Charakter und 4 Seiten Text handelte. Allerdings ist der Verweis von Malte Herwig, der mit mir einen Vornamen als Familiennamen teilt, durchaus erhellend, wenn er Schätzings Methode 2005 mit der Thomas Manns vergleicht, und das u.a. einer Tauchfahrt nahe am Thema des unterseeischen Ökothrillers im “Doktor Faustus” entnimmt. Zum Vergleich von Mann‘s Tauchgang von Leverkühn mit dem Original, dem Bericht des amerikanischen Zoologen William Beebe, siehe die FAZ und Herwigs Artikel auf http://www.publicorum.com/Artikel/schaetzing.html

Vielleicht will Schätzing das Meer austrinken, um diesen Roman zu gebären, ist voll von Amnionsflüsssigkeit, gebläht und genährt vom einer Vielfalt von Stoffen und Erbmaterial. Voll von Nährflüssigkeit, von Einzellern, die Schätzing gekonnt, aber auch ein wenig offensichtlich zu einem Textmonster verschmilzt, um bei seinen eigenen Metaphern zu bleiben. Ein all-out Katastrophenmonsterattacke kommt heraus, etwas nach dem Geschmack der Japaner in den 50ern, was auch gelangweilten 15jährigen am Sonntagnachmittag entgegenkommt. Warum funktioniert das am Beginn der 2000er immer noch – oder wieder – in denen Hiroshima & Nagasaki, sublimiert als schützender, überlegener Godzilla & Co. nur mehr ferne schwarz-weisse Historie sind?

Man könnte Carpenter´s The Thing, The Return of the Triffids, Angriff der Killertomaten, Abyss, Contact, Begegnungen dritter Art, und einige andere Filme anführen, manche gibt Schätzing im Buch selbst an, um á la Mann, der im Text von Herwig seine eigenen Zitierungen vorwegnimmt und Charaktere und Methoden zum Thema der Handlung macht, sozusagen als Immunisierung vor den kommenden Vorwürfen anderer, geschickt einbaut – und sich vielleicht damit verrät. Gepaart mit der Legion der ozeoanographischen Filme und Bücher, allen voran Jules Verne oder Wes Andersons Life Aquatic, die Tauchfahrten Jean Piccards, Free Willy, Flipper und Nanuk the Eskimo, Skandinaviens Krimiromane und auch die schon um 2000 schwärende Klimadebatte, voll von Ölgeschäftskritik und Bezügen zu Geologie und Ökologie. Nun noch etwas exotische Meeresbiologie der letzten 10 Jahre in den Cocktail und schon beginnt das ganze wild zu gären und zu brodeln.

Klug, aber in Zeiten von Greta Thunberg und Extinction Rebellion ein wenig ältlich und Establishment romantisierend, das setting innerhalb der europäischen offshore Ölindustrie anzulegen, als kalkulierte Ambivalenz. Inklusive willfährige Wissenschafter als Hauptprotagonisten, die eingekauft Expertisen und Gesicht abgeben, um das norwegische Narrativ verantwortungsvoller Förderung fossiler Brennstoffe aufrechtzuerhalten. Endlich Europa und nicht die USA, möchte man aufatmen.

Aber Schätzing kann sich nachdem er seine Frau in einer wichtigen Nebenfigur ableben lässt nicht mehr zurückhalten und als gut vom Marshall Plan geschulter Bürger reisst er brav im richtigen Moment auf fast texanische Weise das Pferd herum und einen spult nun einen konventionellen amerikanischen Katastrophenfilm herunter, ganz Pacific Rim, ganz Micheal Bay, plus Explosivgeschossen und Tentakel. Das wirkt trotz oder eben wegen der durchaus überraschend tiefgehenden wissenschaftlichen Backgroundinformationen, die die Protagonisten für die Lesen verbreiten und die vielleicht mehr als die Hälfte des Romans ausmachen, unschön ungelenk und einfallslos, glattpoliert, blaupausenhaft, gefällig. Es ist allzu offensichtlich, dass der Autor mit einer Verfilmung kokettiert, flicht er ja auch immer wieder Metabezüge ein, kommentiert in der Geschichte, wie dies als Film wirken würde.

Man verzeihe mir das cineastische Würfeln: das Militär kommt dabei nicht so gut weg wie in Top Gun oder Independence Day aber es wird kein Pearl Harbor, War Games, Das Boot, oder gar so etwas wie Apocalypse Now, Jack Reacher II oder Born on the 4th of July daraus, eher ein ernsthaftes Mars Attacks gekreuzt mit Aquaman und Jurassic Park. Wer angesichts des Belletristik-Genres ein humoristisch-bitteres Starship Troopers erwartet, ist falsch bei Schätzing. Es bleibt Popcorn Kino, in der bei einer Umsetzung der edukative Anspruch der wissenschaftlichen Zusammenhänge wohl als erster für die 120min Schnittfassung geopfert werden würde. Das Hörbuch ist 38h und 10min lang. Wonach klingt es? Nach Bond? Nach Harald Lesch in Leschs Kosmos, Terra X? Nein, eingängiger, erzählerischer, aber auch ein wenig ausschweifend mit vielen taktischen cliffhangern. Der unselige Roland Emmerich mit seinen beiden Klimakatastrophenfilm 2012 (aus 2009) oder The Day After Tomorrow (2004) kommt hoch wie angreifende Orcas oder verrückt gewordenen Buckelwale, die den Roman umkreisen. 2004 kam auch Der Schwarm heraus, es drängt sich auf dass der ehemalige Werbefachmann Schätzing einfach die Stimmung der Zeit, die Lust an Endzeitszenarien aufgefangen hat und rechtzeitig umgesetzt. 2000 war ja erst 4 Jahre her, wer da anfängt einen Roman zu recherchieren wird gemeinsam für die Entspannung fertig, dass die Welt ja nach Y2k immer noch steht und die Apokalypse, auf die ganze Generationen hingewartet haben, doch (noch) nicht eingetreten ist.

Im Jahre 2020, 16 Jahre später mitten in einer sich in der Realität entfaltenden Pandemie, die die Welt in Atem hält, Rassenunruhen, ein Trump auf dem Thron der Vereinigten Staaten und eine sich in den nächsten 10 Jahren konzentrierende verschärfte Klimakrise lassen den Plot von „Der Schwarm“ fast ein wenig naiv und „wünschenswert“ erscheinen. Ich will nicht sagen, dass Covid-19 oder eine Ammoniumnitritexpolsion in Beirut schlimmer ist als Tsunamis, die die ganze europäische Westküste zerstören oder eine Flora und Fauna in Kampfeslust und Aufruhr gegen den Virus Menschen, aber so etwas wirklich selbst zu erleben nimmt der Fiktion einiges an Vorstellungsfreude, Laune und Aura. Ich denke, der Geschmack verändert sich, wenn das Gegengewicht von „eigentlich alles ok“ auf “gobale Krise” ändert. Thrill-seeking Gänsehaut und Bedrohung der Menschheit wird möglicherweise nur dann wohlig erlebt und vom Publikum goutiert, wenn sonst alles in Ordnung scheint.

Wir können zurück in unsere langweiligen Jobs uns Einfamilienhäuser und müssen sich vor nichts fürchten. Den Schock von „Der Schwarm“ erleben wir jetzt in gewisser Weise am eigenen Leib, da ein Virus aus einer Fledermaus Millionen Menschen krank macht und hunderttausende Menschen umbringt. Die Natur die wir industriell anrühren, schlägt zurück. Allerdings sind wir selbst schuld, wir könnten sie ja auch in Frieden lassen und keine Fledermäuse oder Schimpansen essen und in ihre Lebensräume vordringen. Wenn wir uns selbst bedrohen, realiter, macht das vorgestellte „von aussen“ weniger Spass – heutzutage erscheint Der Schwarm zu kompliziert, eher wie eine schlecht kaschierte Projektion – die mag es schon 2004 gewesen sein.

Eine große Projektion, die angesichts von Umweltzerstörungen, Ölleaks und 9/11, die internationale Freiheiten zerstörte und den USA den Patriot Act gebracht hat, keine fremde Intelligenz braucht, die diese Arbeit für uns erledigt und mit der wir uns arrangieren müssen. Wir müssen lernen, sich mit uns selbst zu arrangieren, uns nicht mit geschlossenen Augen selbst zerstören zu wollen. Das sieht Schätzing auch in 2004 richtig und bricht eine Lanze, dass wir ja unseren Platz gar nicht kennen und verwehen könnten wie Sand. Es wird aber keine strafende väterliche Hand kommen, die uns zum Einlenken bringt, ausser unsere eigenen Konsequenzen, die wir heraufbeschworen haben, und die uns einholen eben weil wir sie viel zu lange ignoriert haben.

Die philosophischen, systemischen Betrachtungen gehören zu den schönsten und dichtesten Stellen des Buches. Trotzdem nimmt Der Schwarm eine äusserst pessimistische Haltung ein, die  nicht daran glaubt, dass wir uns ändern, nicht mal wenn man uns hart bestraft. Vielleicht ist das ein Fehler, der dem psychologischen Muster vieler amerikanischer Filme gefolgt zu sein, in dem die Menschheit vor eigentlich überwältigenden Ereignissen oder überlegenen Angreifern durch menschliche Einzelheldengeschichten, den Monomythos, die Hero‘s Journey gerettet werden. Dadurch lernen alle dazu, könnte man meinen, was natürlich blanker Happy-End Unsinn ist. Das weiß Schätzing, aber er tischt es uns trotzdem auf, und thematisiert dabei Happy Ends im Text, zur Sicherheit.

Es hilft aber auch nicht, dass es hier ein Team von Wissenschaftern unterwegs ist, es hätte auch einer sein können. Man kann sich fragen: warum gerade diese, warum nicht viel mehr, wo bleiben die Asiaten oder Ghanesen, die Araber? In Gestalt der General Judith Lee mit asiatischen Wurzeln wird die schöne Quotenasiatin zum Bösewicht gestempelt – der Rest bleibt ein anglo-amerikanisches All Stars Team, wie in den USA zu erwarten. Der kluge, kultivierte Europäer, die rauchende SETI-Wissenschaflerin, der Indigene der seine Wurzeln findet, die vorlaute Studentin, der fiese CIA-Sack, alle weiss. Nur ein Offizier schwarz, halb zur Verschwörung gehörend und ein Inder der nicht viel mitzureden hat, Kanonenfutter. Das Anbiedern, Anpassen und Intrigieren von Ethnien in der Regierung als Beispiel wie es wirklich ist, erscheint absurd bis naiv, fast als kompulsive „trope of WASP cinema“. Die schlaue, brilliante, aber skrupellose Asiatin, eine Karikatur einer Karrieristin, die Amerika ernster nimmt als ihre weissen Vorgesetzten. Das ist trash wie aus der Patriotismustonne von Stoffen aus den 80er Jahren, siehe Patrick Swayze in „Die rote Flut“. Das könnte nur mit solchen Juwelen wie Joe Dante’s “The Second Civil War” (1997) gerade gerückt werden. Aber bei dem hat Schätzing nicht abgeschrieben.

Der Schwarm ist Sommerpulp für den Strand, gut auch noch im Jahr 2020, aber hauptsächlich wegen den wissenschaftsjournalistischen Einsprenkelungen, für die sich Schätzing eine Klage wegen Plagiatsvorwürfen einhandelte. Es ist wirklich erstaunlich, wie präzise dieser Laienautor kognitionswissenschaftliche Ergebnisse und Zusammenhänge richtig ins Licht rückt, nicht nur als Fakt, sondern als Einschätzung, als Teil der Geschichte. Hier triggert er ein wenig schon während des Lesen meine Sensorik, löst Erstaunen aus. Die Geschichte der Erforschung der Selbstwahrnehmung und der Gehirnforschung, Verhaltensexperimente mit Tümmlern, John Lilly, Theorien zum Bewusstsein etc. klingen viel zu geschliffen für einen solchen Roman, viel zu tiefgehend. Nicht, dass es ihm nicht zuzutrauen wäre, aber es klingt zu gut, zu bedacht, zu nahe an den Schriften, die ich selbst mehr als 10 Jahre als Student und Forscher der interdisziplinären Kognitiven Neurowissenschaften lesen und diskutieren durfte. Das Scripps Institut for Oceanography in LaJolla Beach in San Diego besuchte ich auch einmal, in dessen Programm Forschungsschiffe, Klimaerwärmung und die Erforschung der Intelligenz von Meeressäugern zusammenfliesst, aber auch hier sind die Departments weitgehend getrennt.

Auch wenn man 4 Jahre recherchiert, die Gebiete sind so breit und so transdisziplinär, dass die Erarbeitung des Letztstandes 2004 zum allen Themen, inklusive der Deep Flight Technologie, die später bei Richard Branson und Virgin versandete, eher wirkt als hätten sie eloquente Fachkollegen gesetzt, weniger ein belletristischer Autor eines sci-fi Romans. Schätzing studierte Kommunikationswissenschaft, nicht Naturwissenschaft, also muss er sich alles anlesen, das ist verständlich – und vielleicht tue ich ihm einfach unrecht. Vielleicht bin ich auch einfach nur neidisch…

Die Theorie, dass vieles davon verdecktes Zitat und verstecktes Abschreiben sein könnte erscheint mir aber nur durchaus schlüssig, da die Mengen an wissenschaftlicher Hintergrundinformation in so kurzer Zeit kaum zu bewältigen sind. Auch wenn Schätzing das Rezept mit “Limit” (2009, Kiepenheuer & Witsch, Köln) wiederholen will, wieder mit einer Saga um Rohstoffabbau am Mond im Jahre 2024, kann er nicht an den Erfolg von „Der Schwarm“ anschliessen. Es sind vielleicht zu wenige Organismen und reale Bedrohungszenarien vorhanden, ausserhalb unserer Biosphäre – die muss man alle erfinden. Dass er auch noch ein Buch zu AI schreiben wird, war vorherzusehen – 2018, Die Tyrannei des Schmetterlings. Vielleicht fehlt ihm aber auch das timing oder originäre eigene Ideen, bedeutsame Themen in einer Tauchfahrt durch Tonnen von wissenschaftlichen Artikeln und Besprechungen zu fischen und erneut das Meer auszutrinken, nachdem er es schon einmal leergetrunken hat…

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