Lobo, Precht, Horx & Klopp & die Querdummheit

Der Dichter und Dramatiker James Thomson definierte einen Philosophen als einen, der sich der folgsamen Herde widersetzt in seinem “Sommer: Ein Gedicht” (1730) orig. “Summer: A Poem”:

Der vulgäre Blick; Erstaunen ist ihr Erfreuen, / und mystischer Glaube, eine liebevoll folgsame Herde! / Aber die prüfende Philosophie schaut tief, / mit durchdringendem Auge in die unterschwellige Ursache; / Auch kann sie nicht hinunterwürgen, was sie nicht sieht. // orig. The vulgar stare; amazement is their joy, / And mystic faith, a fond sequacious herd! / But scrutinous Philosophy looks deep, / With piercing eye, into the latent cause; / Nor can she swallow what she does not see.

(aus “Before Trump: the real history of fake news” by Steven Poole, Übersetzung vom Author)

Sind wir nicht alle Philosophen?

Es soll hier um eine gesellschaftliche Dynamik gehen, die den mystischen Glauben an den weisen Philosophen in ein harscheres Licht rückt. Eine Art Bestandsaufnahme, warum wir Rattenfängern auf dem Leim gehen, “taradiddlers” wie im Englischen beschrieben, und daß wir eine “sequacious multitude, the gudgeons following a taradiddler” darstellen könnten, nur allzu leicht. Die hinterlistige Menge, die Einfältigen, die einem Taradiddler folgen. Das Substantiv „taradiddle“, steht für die Lüge selbst und ist im Jahre 1796 in Groses “Classical Dictionary of the Vulgary Tongue” bezeugt, wo es als ein „fib” oder eine Falschheit definiert wird – vielleicht von „diddle“, was betrügen bedeutet, mit dem Ausruf “Tara!” vorne darangeschraubt. Es geht um diejenigen, die andere beeinflussen, wenn sie als “ultracrepidarians/Ultrakrepidarier” (jemand, der über sein Fachwissen hinausgeht) agieren. Wer diese Wortherleitungen und mehr in English geniessen will, der lese den erhellenden Artikel “Before Trump: the real history of fake news” von Steven Poole im The Guardian vom 22/11/2019: https://www.theguardian.com/books/2019/nov/22/factitious-taradiddle-dictionary-real-history-fake-news

Doch das hier Angesprochene muss in Deutsch abgehandelt werden, denn es werden Meinungen zur Covid-19 Pandemie, ihren Ursachen und ihren Folgen auch in Deutsch geteilt. Das Mitlesen von Nachrichten und Meinungen in Fremdsprachen mag nicht so weit verbreitet sein, wie es wünschenswert wäre. Wir igeln uns in unsere Sprachfilterblasen ein und fokussieren auf die eigene Nation, die eigenen Zahlen und die eigenen Aussagen und Beobachtungen, auch wenn man aus dem internationalen Diskurs und den Beispielen weltweit einiges lernen könnte. Es ist wieder schick geworden nur den eigenen Nabel zu beäugen und die Fusselfreiheit im Vergleich mit anderen zu vermelden. Was haben also Sascha Lobo, der Zukunftsforscher Matthias Horx, der Publizist und entrepreneur-Philosoph Richard David Precht und ein deutscher Fussballmanager in Liverpool, Juergen Klopp gemeinsam? Einerseits die deutsche Sprache und damit ein weltweites deutschsprachiges Publikum von ca. 90-105 Millionen Menschen (ca. 80 Millionen sprechen und verstehen sie als Zweitsprache) – und sie alle haben sich zum Coronavirus / Covid-19 / SARS-Cov-2 und dessen Folgen geäussert, alle in ihrer eigenen Art und Weise.

Dies ist eine Polemik und kein Kindergartenaufsatz. Er ist nicht unschuldig und naiv, sondern gibt vor zugespitzt etwas Anzuprangern, nicht nur neutral zu beschreiben. Es handelt sich hier um eine Meinung, eine persönliche und allein die Erwähnung dessen könnte so manchem gewogenen Leser Vertrauen einflössen, der gewohnt ist, dass Autoren ihre Gedanken als Wahrheit und “richtige Sichtweise” über andere stellen. Dies steht mir fern. Im Gegenteil, ich denke es handelt sich durch Länge und Stil um einen Nischentext an Nischengeister, die nicht “berichtigt” werden wollen oder selbstgerecht berichtigen, sondern zuhören. Das ist selten geworden, denn zumeist werden polemischen Meinungen von anderen übernommen und verkappt weiterverfüttert, um den Mehrwert an Aufregung einzustreichen, um sich wichtig zu machen, um sich einzigartig und unbeirrbar als einer der wenigen zu “outen”, die die Lage wirklich durchschaut haben. Ich würde dem Text und meinem Anspruch, etwas zu kritisieren und offenzulegen keinen guten Dienst erweisen, wenn ich selbst in diese Falle ginge.

Es ist verwirrend, aber lassen Sie mich differenzieren, dass ich zwischen Nischengeistern und “Querulanten”, zwischen Philosophen, Weisheit, Querdummheit und Propheten unterscheide, besonders weil die Grenzen zwischen “Quergeist” und undifferenziertem “Querulant” inzwischen im Diskurs und auf der Straße verschwimmen. Propheten und Querulanten wollen nicht diskutieren, Sie wollen belehren, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Sie haben die Wahrheit schon. Echte “Philosophen” und Nischengeister sind vorsichtiger, und wollen diskutieren, um sich der Wahrheit anzunähern, zuhören, ohne sie absolut zu beanspruchen. Ein Philosoph kennt seine Grenzen, ein Querulant wird sie immer gerne ob des Effekts überschreiten…

DIE “INFLUENZER” – PRECHT & LOBO

Hatschi! Gesundheit. Man kann Grippe kriegen, Cholera, Ebola oder Masern – oder einen harmlosen Schnupfen. Aus Influencer, die sich wie Influenza benehmen, wie eine gemeine Grippe sich verbreiten und behaupten, Covid-19 sei nicht schlimmer als eben eine solche, werden in dem Sinne also “Influenzer”. Man verzeihe mir den Kalauer und die allergische Reaktion, aber Influencer hört sich fast wie Influenza an, und dagegen bin ich, wenn auch geimpft, nicht immer immun. Begonnen hat es eine Influencerin, Ava Louise, die ein Video machte, in dem sie die Toilette im Badezimmer eines Flugzeugs leckte. Seitdem haben sich die mit der sozialen Herausforderung verbundenen Videos vervielfacht und Millionen von views gesammelt. Die #CoronavirusChallenge wurde von den Experten als “unverantwortlich” eingestuft, von klar denkenden Individuen als unsäglich blöde. Einer der Nachahmer hat auch prompt Covid-19 bekommen und ist im Krankenhaus gelandet…

ÜBER VERHARMLOSUNG UND UNVERANTWORTLICHES HERUNTERSPIELEN

Der Redner und Berater Richard David Precht, deutscher Philosoph und Publizist hingegen wurde auf einer Konferenz in NRW am 13. März 2020 auf die neue, grassierende Krankheit angesprochen, dem Bundesland mit den bis zu diesem Datum meisten Covid-19 Fällen zu dem Zeitpunkt. Precht ist ein Pop-star, schreibt die FAZ über den “Doktor Allwissend der deutschen Republik”: “Er könnte auch eine Matinee über die Schönheit der Aale, einen Workshop über Primzahlen oder ein Wochenendseminar über die Klassiker der albanischen Literaturgeschichte halten – der Saal wäre voll, in Düsseldorf genauso wie in München oder Wolfenbüttel. Precht ist überall ein Star, das Thema ist egal.” Prä-Covid könnte man das für egal halten (der Artikel ist ca. 2 Jahre alt) aber seit dieser Zäsur ist es nicht mehr egal, was man öffentlich sagt, denn aufgrund einer Meinung könnten Menschen sterben. Schon die Klimakrise, zu der er sich wortgewaltig im Fernsehen oftmals geäussert hat, bot wenig Spielraum für Narrative, die sich später als falsch oder unzureichend herausstellen könnten, aber einiges davon mag sich erst in 10 Jahren deutlich zeigen. Hier, im März 2020 bekommt man die Rechnung, das Ergebnis einer fahrlässigen, oberflächlichen Einschätzung innerhalb einer Woche zurückgespielt. “Etwas vergleichsweise Harmloses..” gibt er da zum Besten – und zugleich gar nicht harmlos, da eben Menschen zuhören, die ihn als öffentlich agierenden Experten schätzen.

Precht will Philosoph sein (Philo – sophia, Liebe zur Weisheit) und hatte damals nichts über den Coronavirus-Ausbruch verstanden, sprach aber trotzdem in die Kamera. Wenn er 15.113 positiv getestete Infizierte und 1.016 Tote (Zahlen von 12.03.2020, Corriere della sera https://www.corriere.it/…/coronavirus-aggiornamenti…) als „wie eine Fussball Weltmeisterschaft“ bezeichnet, disqualifiziert er sich selbst und verhebt sich hier in einem anderen Gebiet, der Medizin, gewaltig. Die CF-Rate (case fatality rate) geht in China von 0,7 bis 4% „offiziell“ und ist in Italien, dem am stärksten betroffenen Land (in dem ich damals quarantäniert lebte) war sie 6,7 % hoch! Doppelt so hoch wie die CF der Spanischen Grippe. Eine normale saisonale Grippe hat laut WHO eine CF Rate von 0.1%. Machen wir die Rechnung selber: auch wenn es eine grosse Dunkelziffer an asymptomatisch Infizierten geben mag (und das ist das Problem, und gleichzeitig die einzige Hoffnung, die CF halbwegs zu senken) hat der über 41jährige (das ist im Schnitt das Alter der Infizierten) nichts verstanden, wenn er in NRW  auf eine Businessveranstaltung geht und seine Meinung locker und unqualifiziert abgibt, um sich als Expert weiterfeiern zu lassen, vom anwesenden mittleren Management. So er sehr seine Klimakritik für mich richtig und stark in Szene setzt, liegt er beim Coronavirus einfach falsch – gefährlich falsch. Si tacuisses, philosophus mansisses, Herr Precht.

LOBO UND DIE VERNUNFT

In seiner Kolumne in einer auflagenstarken und renommierten Magazin “Der Spiegel” schreibt Sascha Lobo am 18.03.2020 “Wider die Vernunftpanik” ein Essay über die Corona-Gesellschaft. Allein der Titel ist zu diesem Zeitpunkt schon unterirdisch.

Erstens grassierte diese “Vernunft” damals erst seit ca. einer Woche, ihr wirklich nachgegangen wurde in Europa in der Akzeptanz einer Gesundheitskrise seit weniger als 2 Wochen flächendeckend, da der Appell an Vernunft allein nicht die gewünschten Ergebnisse zu bringen schien. Und zweitens, Herr Lobo, seit wann ist Vernunft was Schlechtes, etwas “Gefährliches” – etwas das zu meiden ist, als Haltung? Hier flackert wohl eine äussert unvernünftige Grundhaltung durch, getarnt als Berliner Rebellischsein, die sich nun nicht alles so drehen kann wie sie es braucht, um weitere Speakergigs zu kreieren…

Denn ehe man sich’s versah, wurde schon auf die Vernunft geschossen, wurde “Vernunft” in einer Krisenzeit wie keiner seit Jahrzehnten vorschnell in Misskredit gebracht, beäugt, kritisch hinterfragt. Wo war dieses Hinterfragen in 20Jahren unvernünftiger neoliberaler Sparpolitik, Klimapolitik, im Abtauchen in Memes und dem Feiern der Wirtschaft, der “Vernunft” des Marktes, die ja alles lösen wird – dem polternden, unvernünftigen Ruf nach “unbegrenztem Wachstum”…?

Haben wir vergessen, dass Europa auf dem Projekt der Aufklärung beruht, nicht auf fake news? Vernunft als Wert wurde schon vor langer Zeit wie das Kind mit dem Bade ausgekippt. Und nun ist es natürlich als erstes Schuld, wenn es berechtigt den Raum betritt und uns ruhig fragt, ob wir noch bei Trost sind.

„Freunde des Menschengeschlechts und dessen, was ihm am heiligsten ist! Nehmt an, was euch nach sorgfältiger und aufrichtiger Prüfung am glaubwürdigsten scheint, es mögen nun Facta, es mögen Vernunftgründe sein; nur streitet der Vernunft nicht das, was sie zum höchsten Gut auf Erden macht, nämlich das Vorrecht ab, der letzte Probierstein der Wahrheit zu sein.“(Philipp Immanuel Kant: “Was heißt: sich im Denken orientieren?”, erste Auflage, S .329)

Kant hat die Vernunft in in engerem und weiterem Sinn eingeteilt. In einem weiten Sinn bestimmt Immanuel Kant Vernunft als Gesamtheit der oberen/höheren Erkenntnisvermögen (Erkenntnisfähigkeiten). Dazu gehören Vernunft in einem engen Sinn, Verstand und Urteilskraft (untere/niedere Erkenntnisvermögen sind Sinnlichkeit/Anschauung). In einem engen Sinn bestimmt Immanuel Kant Vernunft als das Vermögen (die Fähigkeit), das Schlüsse zieht und dabei Urteile des Verstandes unter Prinzipien (allgemeine Bedingungen) zu bringen versucht. Ich denke wir befinden uns hier auf der Ebene, Erkenntnisvermögen zu kritisieren, aber es ufert deutlich in Richtung Urteilskraft aus, der Kant eine ganze Kritik gewidmet hat. Das ganze in seiner Weise in theoretische und praktische Vernunft zu unterscheiden, würde den Rahmen hier deutlich sprengen, ganz zu schweigen von der reinen Vernunft. Bleiben wir also bei der Boulevardmeinung:

Das Wort “Vernunftpanik” das Lobo hier schmiedet und anbietet ist kein heisses Eisen, es ist rhetorische fake news. Es gibt keine “Vernunft-Panik” denn Panik und Vernunft schliessen einander aus. Vernunft ist niemals panisch, wenn es eine panische Reaktion gibt dann ist sie nicht vernünftig – in Panik denken wir nicht nach. Das sieht eher wie “Prä-covid” aus, die vernünftige Kritik am Nicht-Nachdenken. Der “schreiende Vernunftappell” kommt, weil die Politik als Beschützer versagt und die Sache zu lange auf die leichte Schulter genommen hat, trotz der Tatsachen in Europa und China. Vernunft als “Abwägen zwischen verschiedenen Werten” – ja wenn man denn Werte hätte. Das öffentliche Gesundheitssystem für alle, Bildung und Prävention sind keine Werte an sich und doch durchaus vernünftig. Sie wurden zu Abschreib- und Streichposten im Budget.

“Selbstgerechtigkeit, Angstlust oder schiere Missgunst” waren immer schon da, und wurden in dem letzten 20 Jahren besonders durch die “(a)sozialen” Medien oft bewusst geschürt. Man hat damit Politik gemacht. Und nun regt sich ein Influencer in Berlin auf, dass seine Freunde in der teuren Wohnung in Mitte nicht wirklich solidarisch sind, sondern sich selbst retten wollen, und andere auch dazu anhalten. Schlimm. #staythefuckreasonable, Sascha Lobo, die Hipster nun zu Tätern zu machen gelingt in einer epochalen Krise FUER ALLE nur, wenn man den Ressentiment-Knopf gedrückt hält, um noch mehr Verunsicherung zu säen. Der ganze Artikel ist eine “soziale Herablassung” da er ja nun den Schuldigen im Fadenkreuz hat – die unvernünftige, panische Wohlstandselite. Er klagt also den Prenzlauer Berg an, in dessen Ökosystem er sehr gut passt, aber handelt sich um eine weltweite Krise. Die Nachrichten werden auch von Minderheiten in ihren Landeskanälen kolportiert, in ihrer Sprache, aber nun die uninformierten Minderheiten generell schützen zu wollen erscheint zynisch, fast wie reziproker Rassismus. Die verstehen ja nichts…die Armen – doch, tun sie. Weit mehr als die Bildungselite, die sich ihre Freiheiten nicht nehmen lassen will…

Bei den “bei den Solo-Selbstständigen, die von Veranstaltungen, Kunst, Kultur, Gastronomie und Arbeit in einer Vielzahl anderer, temporär stillgelegter Branchen” hat er recht, das sollte und wurde dann auch staatlich gestützt, das vergisst er zu aber erwähnen. Durchaus bin ich der Meinung und nicht IMHO, dass “die vermeintlich absurden Fake News ihrer Verwandten und Bekannten auf WhatsApp” abwertend zu kommentieren sind, oder eben harsch richtig zu stellen – auf Basis des öffentlichen, wissenschaftlichen Konsens und eigener verantwortungsvoller Nachforschungen, aber mit Demut und nicht mit Besserwissertum.

Wir erleben eine Krise der Krisenkommunikation, und Lobo schlachtet das aus, um noch mehr mit dem Finger zu zeigen. Das ist clickbait, das kann man sich durchlesen, aber es entzweit mehr als es “vorgibt” zu helfen. Sascha Lobo, dessen Job als Stimme in der Spassgesellschaft sich nun verändert, schein das nicht wahrhaben zu wollen: dass eine Twittermeldung eines “Poldis” (Poldi hat Angst vor Corona und möchte, dass sich Wissenschaft und Politik ernsthaft darum kümmert, z.B.) wahrer sein könnte als sein ganzer Artikel, und mehr Menschen erreicht. Ich kann selbst bezeugen, dass empathische Hinweise aus der Quarantäne in Venedig bei vielen Freunden und Bekannten kein Umdenken oder Einsicht in den Ernst der Lage, sondern nur Verwunderung, ja Erstaunen ausgelöst hat – bis die Fallzahlen im eigenen Land exponentiell stiegen. Diese nationalen Blasen gilt es zu überwinden.

Lobo ist durchaus unfreundlich hier, aber fordert Freundlichkeit, fordert demokratisches Denken und diskutieren in Krisenzeiten, in denen es nicht um seine Meinung geht. Mit dem Virus kann man nicht konsensorientiert diskutieren. Die “Reaktanz” von der er spricht, stellt sich genau in diesem, seinem Artikel dar. Da ist etwas kommunikativ fehlgeleitet. Die Zahl der Ängstlichen ist nicht gefährlich, der SARS-Cov-2 Virus, der von Menschen herumgetragen und weitergegeben ist, ist gefährlich. Nachrichten und Stimmen sind wie Viren, sie bauen das Genom im Hirn um, die pflanzen sich fort.

“Nicht alles, was auf den ersten Blick wissenschaftlich sinnvoll ist, kann eins zu eins umgesetzt werden. Gesellschaften sind komplexe Haufen, in denen oft anders reagiert wird, als Laien glauben.” Genau, komplexe Haufen, die egomanisch an nichts zu glauben gelernt haben, nicht an Experten, nicht an die Politik, nicht mehr an die Wirtschaft, nur mehr an den eigenen Vorteil – um doch irgendwann einmal reich und instagram-berühmt zu werden. Es kann halt nicht jeder Influencer werden. Umsetzen, was wissenschaftlich sinnvoll ist, scheint die einzige Möglichkeit zu sein, um den Ausbruch einzudämmen. Und irgendwann eine Impfung anzuvisieren. Punkt.

Wer das verleugnet oder verwässert, nimmt zynisch tausende Tote mehr in Kauf, aber Hauptsache wir haben uns die Pseudo”freiheit” erhalten, die wir schon vor langer Zeit an Staat und Konzerne verkauft haben – ja, was heisst, hergeschenkt…

HORX UND DAS POSITIVE DENKEN

Über Matthias Horx fange gar nicht an zu schreiben, denn der setzte sich, Zukunftsforscher hin oder her – in ebendieselben Nesseln. In seinem Essay “Im Rausch des Positiven. Die Welt nach Corona” unternimmt er ein Gedankenexperiment und entwirft eine positive Vision für die Post-Corona-Ära – und das ist auch schon das Problem. Noch bevor überhaupt klar ist, wie weitreichend die Konsequenzen unserer Trägheit und Nachlässigkeit reichen werden, ergeht sich einer schon in Schönfärberei. Auch wenn es seine Berufsauffassung und seine Verkaufsmasche sein mag, auch noch so transformative Paradigmenwechsel als Chance zu begreifen und darüber Bücher zu schreiben, hier handelt es sich um eine Gesundheitskrise und keine “Marketingverballhornung” des Problems zur “Challenge” an der wir (und die Wirtschaft) wachsen kann. Das wäre eitler Blödsinn und eine Verkennung der Lage…die Haltung erscheint als eine distanzierte, rücksichtslose Masche, kann aber keine echte Analyse sein – dazu müsste man die Geduld haben, die Zukunft in einer Krise abzuwarten.

https://www.ardmediathek.de/video/after-corona-club/matthias-horx-wir-entdecken-was-fuer-unsinn-gelaufen-ist/ndr/Y3JpZDovL25kci5kZS9mNTRiZGYyZi0xYWMxLTRiYzYtODFmOS1lNWUyOGI2ODQyN2U/

STIMMEN DER VERNUNFT

Am Dienstagabend (03/03/2020), nachdem seine Mannschaft aus dem FA Cup ausgeschieden war, sträubte Juergen Klopp sich, Fragen zum Covid-19 Ausbruch zu beantworten. Seine Meinung zu diesem Thema spiele keine Rolle, da er lediglich jemand mit einer “Baseballkappe und einer schlechten Rasur” wäre. Damit ist er eine unwahrscheinliche, aber unwahrscheinlich positive Erscheinung in all den Reaktionen auf die traumatisierenden Veränderungen, die Covid-19 auf unserem Planeten und in unseren Gesellschaften ausgelöst hat. Aus der Welt des Fußballs eine vernünftige Stimme. Wenn nur seine Reaktion Schule gemacht hätte…

DIE AUFWIEGLER – WORDARG & CO.

Nicht alle sind zurückhaltend, nicht alles gut in ihrem Job. Nicht alle verdienen Respekt, nur weil sie irgendwann einmal in irgendeiner respektablen Position saßen. Wir leben in einer Demokratie und in einer solchen herrscht Meinungsfreiheit. Jeder darf etwas sagen und mitdiskutieren, aus einer Vielzahl an mitunter widersprüchlichen Meinungen ergibt sich dann ein im Idealfall ein Konsens für die Gesellschaft. ABER – wenn wir nun noch dazu in einer “flachen” Informationsgesellschaft leben, in der Amateure wie Experten über Leben und Tod in einem Medium wie Facebook oder Youtube “befinden wollen”, das nicht dafür geschaffen wurde, um seriöse, tiefergehende Diskussionen zu führen, dann wird daraus gesellschaftliche Konfusion. Ein Chirurg wird auch nicht vor einem Schnitt während einer Herzoperation den Bäcker, die Gemeinderätin, einen Anwalt oder irgendeine Oma anrufen, um sich Rat zu holen…

Man muss (und soll) auch den Kritikern oder den Verschwörungstheoretikern ohne Beweisen, die keinem Covid-19 Patienten direkt behandelt haben, widersprechen dürfen, auch wenn sie sich auf die Meinungsfreiheit berufen. Man muss ihre Aussagen überprüfen und ihre Hypothesen falsifizieren können, Fakten und ungerechtfertigte Interpretationen richtigstellen dürfen. z.B. geschieht das hier: https://www.mimikama.at/…/arzt-verharmlost-coronavirus-fak…/

ABER: Eigentlich müssten die Kritiker, die Einzelmeinungen, die Mahner hier die Beweise bringen, die ihre Behauptungen stützen – nicht der internationale wissenschaftliche Konsens, der eben auf Studien und Beweisen, zigtausenden Falldaten beruht.

Im Falle von Covid-19 scheint die Gerüchteküche besonders schlimm und aus dem Ruder gelaufen. Sobald auch nur ein Hinweis im Entferntesten auftaucht, der eine wünschenswerte, oft ungeprüfte Expertenmeinung unterstützt, ja “belegen” könnte, wird sofort alles zitiert und dazugestellt (geposted) was hier vermeintlich heraufbeschworen wird. Im Wirtshaus und am Stammtisch geschieht das genauso – als solches muss man diesen “Meinungsaustausch” auch sehen. Ein blog, ein Post, ein offener Brief macht noch keine Wahrheit oder hat Anspruch darauf (auch dieser tendenziöse Artikel hier nicht, den Sie gerade lesen). Wissenschaft und das Eindämmen/Heilen von Krankheiten funktioniert nicht am Stammtisch oder mit der Hilfe von Laien, die wieder jemanden kennen, der jemand kennt, der rausgefunden hat, dass -…

Auch Experten können irren und haben oft eine andere Motivation als die reine Wahrheit, vielleicht ihre eigene Profilierung, vielleicht glauben sie nur fest an ihre Interpretation, vielleicht treibt sie anderes an. Alle Fachmeinungen können interessant sein, aber ohne handfeste Beweise, dass bei Covid-19 alles fabriziert worden ist, die Tests fake news verbreiten, die überwältigten Ärzte for Ort, die überschrittenen ICU Kapazitäten, die Triage der Patienten wie im Krieg ein Theater sei und die Toten alles Simulanten – muss man das vernünftigerweise ins Reich der abstrusen Spekulationen abtun. Leider führen solche vielerorts kolportierten Meinungen zu Fremd- und Selbstgefährdungen…

Bei Ärzten gehe ich immer mit der Menge und mit denen die vor Ort behandeln, nicht mit den Schreibtischtätern, denn könnten durchsetzt mit Egomanen und kritischen Geistern sein, den Rechthabern. Nur ein fundierter Konsens und professionelle Stimmen direkt von den Orten des katastrophalen Geschehens und profunde Forschung, peer-reviewed bringen da Klarheit.

Mit dem Weiterleiten von kritischen Stimmen, die das alles für nicht schlimmer als eine saisonale Grippewelle halten tut man der Meinungsfreiheit einen Dienst, aber leider nicht der Wahrheit. Interessanter wäre es, einem Propheten aus Expertenkreisen nicht “facevalue” sofort alles zu glauben, sondern gerade in Krisenzeiten generell skeptisch zu bleiben – auch gegenüber einem Staat der nun einer kleinen Anzahl von Experten zuhört, und dann politisch und gesundheitlich wirksame Massnahmen zu verantworten hat.

Wenn man sich die Zeit nimmt, den unaufgeregten 22min des Herrn Wodarg zuzuhören könnte man meinen – ja warum nicht? Alles ein Hoax!  Ha. Der Mann scheint einen soliden trackrecord zu haben und spricht vernünftig – aber das reicht halt nicht.

IMHO, bei einem Einzelnen gegen alle „Römer“ kommt schnell die David-Asterix-Sympathie auf. Und der Glaube an Zaubertränke sprosst. Auch bedient es alle Wünsche und Verschwörungsängste, die wir haben, dass wir mit all dem heftig an der Nase (hatschi) herumgeführt werden. Es scheint sich hier um ein pauschales Argument „des Kaisers neue Kleider“ zu handeln, es sei alles normal und der Fokus und die Medien produzieren in Panik eine Krankheit, die es ja so gar nicht gäbe. Der Test misst was eh schon da ist, Leute sterben wie üblich, aber wir schreien Covid-19 Pandemie nach der neuen WHO Definition (sind ja alles gekaufte Piraten) und legen das öffentliche Leben still.

Viel Lärm um nichts?

So, aber ich als Bürger in Quarantäne bin nicht in Urlaub, kein Lungenfachmann, aber ich wäge ab zwischen einem möglichen wünschenswerten •nichts gewesen, ha• und dem unwahrscheinlichen Aufwand einer weltweiten Inszenierung und dem übertriebenen faken von schon 185.000+ Fällen damals, die ja alle sowieso „normal“ krank geworden wären und 7.300+ Toten. Ich hatte das Video von Herrn Wodarg damals schon mehrmals geforwarded bekommen und besprochen, die Zahlen wurde immer aber immer höher (es ging ja weiter in die zig-Millionen, mit nun knapp 5 Millionen Toten, Stand 15.11.2021). Es ging um Tote, die nicht mehr berichten können, ob die Diagnose “Covid-19 oder nicht” irgendeinen Unterschied bei ihrem Hinscheiden ausgemacht hat, aber dazu gibt es ja Mediziner, die das zu beurteilen haben. Ich vertraue der Menge an Professionisten, die in den Praxen, Ambulatorien und Intensivstationen mit einem Outbreak konfrontiert werden, und die alle (anders als er dem Schreibtisch) unaufgeregt abwägen müssen, ob das nun ungewöhnlich ist oder nicht (im Vergleich zum letzten Jahr oder eben überhaupt). Ich tue mir schwer zu glauben, dass 1000 Ärzte irren, panisch werden und nach Hilfe vom Staat rufen, ihre Betten mit schweren Fällen (nicht wie jedes Jahr) überfüllt sehen wie in der Lombardei und eben so gar nicht wissen was sie tun. Einige wenige vielleicht, aber wie “faked” man nun diese eskalierende Situation in Milano-Lombardei-Venetien-ganz Italien, wenn da doch „nichts“ ist und ganz normal viele ARDS (acute respiratory distress syndrome) Fälle reinkommen? Und auch normal viele sterben? Da muss man doch eigentlich Entwarnungen hören, oder? Der Herr Wodarg hat falsche Einschätzungen verbreitet – und in weiterer Folge auch nicht aufgehört das zu tun und Leute zu verwirren.

Damals im März 2020: 31.000 Fälle in Italien, exponentielles Wachstum und Co-indikationen bei den schwersten Fällen mit Covid-19, einem NEUEN Virus, wie auch Herr Wodarg zugibt. Im November 2021 ist nun Italien und besonders Deutschland und Österreich in der bisher heftigsten 4. Welle. All die Studien dazu und Erfahrungen „an der Front“ hinterhältig gefälscht – um was genau zu erreichen? Cui bono, wenn es alle trifft? Also eines war schon vom Beginn klar – solange ein neues Virus nicht pandemisch wird und Millionen von Menschen weltweit infiziert, werden Konsequenzen statistisch in den teilweise riesigen Zahlen zur saisonalen Grippe verschwinden. 290.000-650.000 Tote laut WHO geht auf Influenza zurück, CF Rate (CFR – case fatality rate ca. 0,1%). (CF und R oder Re sowie andere Indikatoren wie Inzidenz in 100.000 erfuhren viele Auf und Abs in den Monaten seit März 2020). Tritt ein neuer pathogener Keim auf (ja, es gibt auch anderen Corona-arten aber wie SARS sind viele Humanpathogene, derer gibt es 6, mit dem neuen Covid-19 sind es 7, auf die Fledermaus zurückzuführen. Allein diese Verbindung wissenschaftlich profund herzustellen hat mehr als eine Dekade mühselige Arbeit von professionellen Wissenschaftlern wie der Virologin Shi Zhengli benötigt, um sicher zu sein. Genau diese hat bei der Identifikation des Covid-19 strains in Wuhan geholfen und vor Ort in Quarantäne gearbeitet – in einem Labor in Wuhan nahe der vermuteten Ausbruchsstelle. Trotzdem hat man bisher keine Beweise gefunden, dass das SARS-Cov 2 bei Experimenten aus dem Labor ausgekommen sei. Wo war der Herr ex-MdB Dr. Wodarg da, in diesen letzten Jahren? All diese Teams weltweit sollen also nun absurde Hitzköpfe sein, die das Kaisers neue Kleider nicht sehen? Bei einer kleinen Gruppe, vielleicht – nur China, vielleicht auch noch – aber nun weltweit? Wenn alle zu Beginn eigentlich seiner Meinung waren und es zumeist heruntergespielt haben – und dann um Hilfe riefen? Nein. Ich danke ihm für seine “Fachmeinung” (nein, das tue ich eigentlich nicht, das meine ich bitter ironisch), aber ohne handfeste Beweise, dass das alles fabriziert ist, muss ich das vernünftigerweise ins Reich der Spekulationen abtun. Besonders, weil wir nicht wollen, dass ein neuer Keim mit stark erhöhter CFR pandemisch die „Grippetoten“ um 10-60fache hochschnellen lässt – und das fällt erst bei Millionen infizierten statistisch auf… 😉  wenn ihn das kaltlässt, ist er fahrlässig und ethisch äusserst fragwürdig. Wenn er recht haben sollte, ist die ganze Truppe seiner Kollegen fahrlässig, da sie etwas aufbauscht, das gar keine zusätzlichen Probleme macht. Man hat gesehen, dass es durchaus Probleme gibt – inzwischen 5 Millionen Tote. Runterspieler, die Leute verunsichern und im Endeffekt auch die Politiker nur langsam reagieren lassen sind mitverantwortlich, wenn ihre Aussagen zu späten Reaktionen und vermeidbarem zusätzlichem Leid führen. Den Effekt davon hat man und wird man (im Gegensatz zu Italien) als Rechnung in D, A, USA und F präsentiert bekommen, mit den Fallzahlen, die im Krankenhaus aufschlagen.

Aber vielleicht kommt ja nichts, keine 2., 3., verlängerte 4. oder 5. Welle – ist ja alles nur eine Erfindung der Medien… dann können wir ja beruhigt sein.

DIE ECHTEN PHILOSOPHEN

Hach ja, und auch der Turbophilosoph Slavoj Zizek hat einen neues Buch am Start, schon zum Vorbestellen, am 24/02/2020 in die Inbox geflattert:

“WHO BETTER THAN SUPERCHARGED SLOVENIAN PHILOSOPHER SLAVOJ ŽIŽEK  TO UNCOVER COVID-19’s DEEPER MEANINGS, CONJURE WITH ITS MIND-BOGGLING PARADOXES, AND SPECULATE ON ITS WORLD-SHAKING CONSEQUENCES?”

Er verspricht darin von MAD (Mutually Assured Destruction), zu MAD (Mutually Assured Distance) zu tanzen wie Nietzsches Seiltänzer über dem Abgrund. Ist es nun wichtig, schnell zu sein, den Schnellschuss im Hochofen der kochenden Ereignisse zu lanzieren, um auf der Aufmerksamkeitswelle mitzureiten? Ein bisschen was zu verkaufen, die Zeit im Lockdown totzuschlagen? Oder drängt ihn der Verlag zum Schreiben, zwingt ihn zum Kommentar, lässt den Bluthund der Konzeptbeschau von der Leine, um Material zu finden, für den Verkauf, die Bücherregale, die müden Gehirne der Überforderten. Vielleicht sollte man sich das ja gönnen, einsam unterm virtuellen Weihnachtsbaum…

Der Philosoph Giorgio Agamben hat sich in den letzten Jahrzehnten wohl am intensivsten mit einer expliziten „Theorie des Ausnahmezustands“ beschäftigt. Sein theoretischer Ansatz erwies sich jedoch als wenig hilfreich, um die tatsächlich bestehende Ausnahmesituation irgendwie adäquat zu beschreiben. Der Philosoph hatte die Krise in drei Artikeln kommentiert, die im il Manifest und in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlicht und breit diskutiert wurden. Erst hatte er ihre tödliche Dimension trivialisiert, indem er von “hektischen, irrationalen und völlig unbegründeten Notmaßnahmen” sprach, dann hatte er sich zurückgezogen und schließlich im dritten Artikel noch mit rhetorischer Naivität gefragt, wie es so weit kommen konnte, dass angesichts einer Krankheit eine ganze Gesellschaft bereit ist, “normale Lebensbedingungen auszusetzen”. Was immer auch “normal” ist – von Krise und einem differenzierten Normalitätsdiskurs hat Herr Agamben wohl noch nie etwas gehört? Agamben glaubte nicht, dass am Tag der Veröffentlichung seines Textes allein in den USA 2000 Menschen an Covid-19 starben und dass es möglicherweise mit dieser todesverursachenden Dimension zu tun hat, dass sich Menschen anders als üblich/normal verhalten. Zu diesem Ausnahmezustand gehört auch, dass es um den Schutz der Schwächeren geht, dass Menschen sich auch gegenüber Fremden solidarisch verhalten könnten und sollten. Aber auch das hat Agamben anscheinend nicht wahrgenommen, weil es nicht zu seiner Theorie des Ausnahmezustands passt. Tatsächlich sei sein Ausnahmezustand eine totalitäre Gefahr, “die vorübergehende Aufhebung der Unterscheidung zwischen Legislative, Exekutive und Rechtsprechung”, die angeblich bereits 2003, als Agambens Buch “State of Emergency” erschien, “zu einer permanenten Regierungspraxis” geworden sei. Nun in einer pandemischen Gesundheitskrise in Infektionswellen wird es wohl der Normalzustand werden.

DIE HOBBY-EXPERTEN

Abgesehen davon, dass die Szene der “Querdenker” nicht quer denkt, sondern eben nicht oder nur wenig – der Begriff wurde usurpiert und in einem spin das “anders denken” in Innovationsprozessen zum “meine Meinung zählt, egal was andere sagen” umgemünzt. Jeder hat ein Recht auf seine Meinung, aber nicht darauf, dass sie auch richtig ist, oder reelle Gegebenheiten abbildet. Was fehlt ist Zurückhaltung und ein wenig Bescheidenheit. Stammtischmeinungen, geschärft an Dekaden der Social Media Dekadenz denken nun auch in lebensbedrohenden Situationen, dass ihr sprichwörtlicher Senf, den sie abzugeben haben, anderen die Weisheit einimpfen wird und Sie viele besser wissen als die verantwortlichen Experten, deren Job es ist, diese komplexen Zusammenhänge einzuschätzen. Nach zwei Monaten scheint sich, auch durch die Politik, die einknickt und die Disastermüdigkeit (disaster fatigue ist ein klinischer Begriff) von Teilen der Bevölkerung die Stimmung zu wenden, auch unterstützt durch die Medien, die immer etwas Sensationelles oder Aufregendes zu berichten benötigen. Man fragt sich, ob nicht der Druck der Medien, endlich wieder Leser zu sammeln und pay walls zu errichten, die Shock Politics von Trump, Orban & Co. erst möglich gemacht haben, willfährig auf jede neue Provokation aufspringend, die erst dadurch ihre wahre Wirkung entfalten kann. Dieser spin des “Querdenkens” der Teile der esoterischen Heilpraktiker, Psychologen aber auch rechte Parteien und sogar Neonazis umfasst und aggressiv sein Recht auf “Rechthaben” fordert, darf nur eines: wenn Sie anderer Meinung sind, dann müssen sie das auch beweisen, was sie behaupten. Ein Recht auf Aufmerksamkeit und Dialog gibt es nur dann, wenn man schlusshaltige Beweise bringt, nicht Ängste, facebook posts, tweets oder Vermutungen von Einzelprotagonisten, echten oder falschen Experten, die den Konsens und eben den Beweis scheuen. Behauptungen sind keine Beweise, Studien und peer-reviewed studies mit vielen, vielen Subjekten nach internationalen Standards sind es.

Manchmal wünschte ich, es gäbe eine Impfung gegen unseriöse Meinungen und unnötige Polemiken, aber so etwas wird es noch lange nicht geben. Ich frage mich oft, was es genau psychologisch bringt, einen anerkannten Experten in einem Feld, in das man vielleicht nicht mal auf Studienbuchniveau eingelesen ist, zu kritisieren, als wäre man plötzlich ein Kapazunder auf dem Gebiet mit zig Publikationen und dem güldenen Nobelpreis im Regal, plus Anerkennung der Fachszene? Ein jeder dahergelaufene Wald- und Wiesenyoutuber hatte plötzlich eine Meinung zu Christian Drosten und der Schweinegrippe. Eva Menasse eine gewichtige österreichische Schriftstellerin sah dies am 01/03/2020 als Anlass für eine ausgiebige Verurteilung dieser so gar nicht “wohlmeinenden” Stimmer allerorts und gibt viele gute Gründe warum man zuerst zuhören und lesen sollte, bevor man „selber denkt“ und vorschnelle Schlüsse zieht, eine Form der geistigen Rettung der Wissenschafter:

Ihnen gebührt das Verdienst, mitten im Strudel von sterbenden Menschen, Lockdowns, überforderter Politik, aggressiven Leugnern und dem begleitenden Dauergeschrei der Medien alte, fast vergessene Tugenden wieder in ihr Recht gesetzt zu haben: Besonnenheit, Präzision, Reflexion, Selbstkritik, begründeten Zweifel. Und das war und ist eine Form geistiger Rettung. (…) Wir schauen der Wissenschaft so gespannt zu wie früher den Läufern und Kugelstossern all der vielen Sportveranstaltungen, die inzwischen abgesagt sind.

https://nzzas.nzz.ch/kultur/eine-form-geistiger-rettung-christian-drosten-wissenschaft-ld.1603894

Vielleicht hatte Warhol Recht mit seinen 15Minuten Ruhm, die jeder braucht, oder es erklärt die Reality TV Shows, Talent-scouting Formate und die Dancing Stars. Aber ein Recht auf 15min gefährliche Dummheit gibt es dadurch nicht. Jeder glaubt nun in allem der Beste werden zu können – über Nacht, oder zumindest ist uns das von der Konsumgesellschaft eingeredet worden – und vergisst, dass es ein Unterhaltungsformat ist, nicht die Realität oder Fähigkeit des Einzelnen. Die Schweinegrippe ist mit Covid-19 nicht zu vergleichen, weder virologisch, noch epidemiologisch – alle andere Ansichten darüber erscheinen wild unseriös.

DAS “DANACH” in dem wir sind

Nach einem traumatischen Ereignis besteht oft ein starker Drang, “wieder normal zu werden” und das Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit mit dem Leben wiederherzustellen. Aber “normal” ist möglicherweise nicht mehr möglich – oder ratsam -. Stattdessen finden Kommunikationen, die sich sowohl auf als auch auf Unterstützung konzentrieren, Resonanz bei Menschen im gesamten politischen Spektrum und bilden eine neue Vorstellung davon, was “normal” ist.

Untersuchungen zum Klimaengagement zeigen immer wieder, wie wichtig – der Glaube, dass es möglich ist, etwas zu tun, und wenn Sie etwas tun, wird es einen Unterschied machen – entscheidend für die Motivation von Maßnahmen ist. Menschen können mit stark negativen Informationen über den Klimawandel umgehen, wenn sie mit Sinn und Verständnis etwas tun können. Wenn sie ohnmächtig sind, oder die Politik sich nicht bewegt, wird der gesellschaftliche Unmut steigen und Spaltungen hervorfördern.

Menschen, die ein traumatisches Ereignis erlebt haben, haben aber auch ein Recht auf Genesung. Untersuchungen zeigen, dass Gemeinden, die beispielsweise unter Überschwemmungen gelitten haben, möglicherweise stark darauf hinweisen, dass der Klimawandel dazu führen wird, dass er in Zukunft häufiger auftritt, da dies darauf hindeutet, dass er möglicherweise erneut auftritt. Menschen, die mit einer Krise zu tun haben (Covid-19), haben verständlicherweise möglicherweise nicht die Fähigkeit, an eine andere zu denken (Klimawandel), wenn sie emotional, sozial oder finanziell zu kämpfen haben. Aber wir müssen – denn so deutlich wird der Klimawandel nicht, wie die Covid-19 Pandemie. Wir werden wie der sprichwörtliche Frosch im Wasser langsam gekocht und verstehen daher die Lage nicht ausreichend. Und die unkenden anderen Frösche, die meinen, es sei doch nichts, wenn das Wasser nun 2-3 Grad wärmer wäre, muss man als das sehen, was sie sind: sie gefährden das Leben anderer, die die Lage nicht mehr klar zu beurteilen wissen.

(Update und Editing Nov 2021)

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