Summer Review I
[Eine poetische Rückschau auf das festttival // poetic review of the festttival 2016 in Brandenburg, Berlin]
Das Fest ist vorbei
Könige in Lumpen, stolze, petrochemische Pelztierträger,
Dralonleoparden und hellbraune Nerze,
Zebraleggins und Einhornröcke,
Eure Wasserflaschen auf den Köpfen balancierend,
tanzt Ihr ohne Unterlass, die nackten Füße in die Plane stampfend,
Eure Augen und Nägel singen leise dunkelfarben.
Es bebt die Halle der Pferde, es rüttelt das Dach im treibenden Takt,
Wir stecken sich gegenseitig an, in der Kakophonie des “Was wollen denn wir?”
röchelt verzerrt “Was wollen denn die?” hervor, halbverängstigt, vielleicht genügsam.
Einsam, und doch gemeinsam wogend, jeder in seiner Gummiblase grinsend.
Leer und doch so voll von selbstbestimmter Freude.
Stolze Prinzessinnen in Geleekartons aus Chinaseide,
Trainingsanzugsensembles, Regenbogenstrech und Broschenfedern,
wippend im Takt im Haar, im wilden Haupthaar.
Asiatische Augen, zwinkernd, blaue geschlossen, braune flackernd,
weite Pupillen wie Nadeln zerschossen,
Unsere Worte lassen auf nichts schliessen,
schliess die Augen, tanze. Tanzt!
Farbensäume, Drecksfüße, stampfend auf geschundenen Teppichen,
Teppich über Linoleum, Linoleum über Pferdemist und Erde über Tiefenbass.
Techno beschützt die Tiere des Dschungels wie eine wippende Kobra,
und doch isoliert ihre Zunge, vereinzelt ihr Gift,
von Gefühlsverstärkern zur Notgemeinschaft des Sich-gegenseitig-Bemerkens lose geschwächt
rudern wir wie toll um Verständnis.
Ein Floß der Medusa, gezogen von unserem Willen.
Gekappt von Angst treiben wir umher.
Wir meiden einander ein wenig, bleiben im Rudel, suchen das Rudel,
fragen nicht links oder rechts, wir weiden uns aneinander wie Füße an festem Schuhwerk
Wir meiden die Verschwesterung über die Sippe der Bekanntschaftsbrüder hinaus.
Wir sitzen auf einem Floß und haben Hunger.
Wir wollen uns auffressen, aber wir trauen uns nicht.
Während Windräder in zugiger Höhe über Äcker kreisen,
Strom sirrend in den Boden gesogen wird,
sitzt eine einsam am Boden wie von Blicken blinzelnd abgesondert,
wie ausgespuckt auf die Erde geklebt, im Schmutz mit Halmen spielend,
wortlos eingeschlossen.
Sind wir das erste Weltelend nahe am Untergang, wie Spielzeug,
das durch den hämmernden Bass zum Abgrund zittert?
Oder sind wir die Hoffung, auf die das Elend der Welt setzt?
Neben verpissten Strohrollen sitzt ihr, und ich mit euch,
Ihr haltet das Banner einer Utopie von Eingeborenen zwischen Schanghai,
Kellerberlin, Ökopax und Zirkus hoch, und doch seid ihr Kinder der unmittelbaren Umgebung
die mit ihren Bildschirmen die Welt einzufangen suchen, um zu teilen und zu vernähen,
ein Patchworkfamilienquilt, einer für jeden, den man manchesmal wehen lässt.
Wenn einem dünkt, ein Zeichen zu setzen.
Ihr erglüht in Fundholzbars wie Tiefseequallen,
Im Schwarzlicht von Acidrain der euch durch die Adern pulst zersetzt ihr euch –
Ihr Grafen, Gräfinnen, Prinzen und Prinzessinnen ohne Titel, Hab und Gut – nur im Moment royal.
Im Summer of the Self, wenn Schwalben neben blauen Tigern um vibrierende Pferdehallen jagen,
haben wir Durst nach Pillen, Trips und Beatboxkonzerten,
am besten echt,
am besten übertrieben,
am besten krass.
Ihr achtet obsessiv auf Wasser, Uterus, Blasendruck, Chillplätze und Rotkäppchensekt,
die Freude ist ein Fass, in das ihr hineinkriecht, um euch treiben zu lassen.
Ich habe kaum Besseres erlebt.
Echt in Ruhe gelassen zu werden, der kynische Moment der weisen Schar an ungestillten Blicken,
die nichts mehr halten.
Ein Vorübergehen der Vorübergehenden.
Rote Tücher zwischen Trashchimären,
Glitter im Wald, speiende Schmetterlinge und Spiegel, die Äste zitternd wiederwerfen,
Ledersofas auf der Heide, Buckydomes spontaner Literaturkathedralen,
Sozialer Kitt, bei dem man einfach nur zuhören muss, und nichts tun.
Am Morgen ein Baldachin vom Winde zerbläht, umringt von Kindern,
die spielend nackten Tieren bei der Liebe zusehen.
Wir Tiere, die uns rotten, die globetrotten um uns dann doch wieder zu verlieren,
die krähen, wenn die Welt sich verändert,
die säen, um gesehen zu werden, aber nicht um zu ernten.
Ohne diese Veränderung zu lenken, lecken wir uns die salzigen Finger.
Wir aus Finanzkrisen Schaumgeborene, Inseln im Flüchtlingsstrom,
Neohippiehipster im süßen Met des Spätkapitalismus, der uns den Rachen verklebt,
während das Smartphone leise vibriert.
Take some pictures.
Make an update.
Love in modern times.
Unsere Köpfe hoch, die Nasen gereckt, die Wasserflasche wankt, wenn unsere Knie sich pumpend biegen,
die Spiegel bewegen sich leicht im Morgenwind, mein Herz wird schwer.
In der Musik von tickenden biologischen Uhren und Beziehungstragödien,
geplatzter Karriereversprechen und Selbstoptimierungswahn,
zwischen bioveganer Gendermainstreaming und Lockpicking workshops,
In dieser Extremecke der runden Postmoderne, selbst überholt, überrollt und ins Nebengleis gestellt,
da sie sich nicht Gehör verschaffte im Supermarkt der Eitelkeiten,
Dort wohnen und tanzen wir und haben keine Sprache mehr.
Was nicht wie ein 30sec Elevator-speech klingt, kann gar nicht wahr sein.
Nicht ist weniger wahr als das Vergessen,
das sich davonstahl in der Nacht der Versprechen nach 68.
Utopie, Liebeslust, Freiheitskampf,
Warum kommst du als blutleerer Geist wieder?
Ein Wiedergänger, Revenant.
Schaffst Ghouls, Zombies, vakante Nischen…
Chillen als Totalrückzug vor einem Öffnen der Seelenfenster zu einer neuen Welt,
die man nicht nur betanzen, sondern gestalten müsste?
Wir vermieten unsere Wohnungen besser online und feiern draußen.
Fahren andere in unseren Autos und haben das Wissen vergessen, das jederzeit unseren Horizont erweitern könnte.
Würden wir die Puzzlesteine doch nur zusammensetzen können.
Hätten wir doch Zeit, Ruhe, Geld – und Liebe.
Wir bieten uns dionysisch der Natur dar, pur, und doch verdreckt,
um sich besser feiernd zu verlieren, als sich urbanen Raum zurückzuerobern.
Fahren wir alle leer nach Hause, Diebe der Zeit,
ausgetrunken und weggeworfen wie Pfandflaschen,
weil niemand ernsthaft daran interessiert sein kann,
sein Wohlbefinden und seinen eigenen perfekte Chillplatz der Kohäsion zu opfern.
Tiere des Partydschungels, ihr seid erhaben, anbetungswürdig entrückt
und weltvergessen so wie der Adel es nie war,
Dekadent wie kein Arbeiterführer und Frühlingsfrieden,
Unheilig und himmlisch zugleich,
Seid ihr der Aristokratenschlamm der Erde,
die Generation Erbe eines aufgekündigten Sozialvertrags,
ihr Ausgequetschten,
ihr süßen Feiermäuse und Tripsters des verlorenen Tages.
Einhörner, Bärenkostüme, T-shirts der 80er, vereinigt euch,
wacht nicht auf…
– wir wollen ewig feiern!